Was kommt danach? Viele Flüchtlinge fallen erst einmal in ein tiefes Loch, wenn sie endlich in einem sicheren Hafen angekommen sind. Aber was bedeutet das schon: In Europa anzukommen, heißt noch lange nicht, dass die Flucht zu Ende ist. Es gibt genügend Migranten, deren Asylantrag abgelehnt wird – und die es danach wieder versuchen. Es ist wie das Hindu-Prinzip Samsara, ein langer Kreislauf von Wiedergeburten.
Am Anfang steht also die Bürokratie – bis ein Migrant auch bei offenkundig vorliegender Verfolgung in der EU Asyl erhält, muss er einen verwinkelten Behördenmarathon hinter sich bringen, in dem genau genommen nur Fakten zählen sollten, de facto aber das Glück eine entscheidende Rolle spielen kann. Zudem ist es für die Asylsuchenden häufig schwierig, ihre Situation glaubwürdig zu beweisen.
So wie für einen Iraner, der als selbstständiger Schweißer in einem Industriekombinat gearbeitet hat. Weil der Mann Kontakte zu einem ausländischen Unternehmen hatte, bezichtigte man ihn der Industriespionage. Immer wieder kam die Polizei und durchsuchte sein Haus, schüchterte die Familie ein – so jedenfalls erzählt es der Betroffene, der jetzt im Westen Deutschlands lebt. Er habe Angst gehabt, verhaftet zu werden, und sei deshalb geflohen. Hieb- und stichfest beweisen lässt sich so etwas nicht – nicht jeder Asylsuchende ist ein bekannter Regimekritiker mit einer öffentlich dokumentierten Biographie.
Ob ein Migrant in einem anderen Land, auf einem anderen Kontinent tief wurzelt, wird von vielen Faktoren beeinflusst. Manche Menschen passen sich geschmeidig in eine für sie unbekannte Gesellschaft ein, kommen mühelos mit anderen Rahmenbedingungen zurecht. Sie erlernen diszipliniert eine neue Sprache, gleiten geschmeidig von einem Kulturkreis in den anderen und nehmen aus der alten Heimat gerade so viel mit, dass das in der neuen Heimat als Exotik oder Nostalgie akzeptiert oder im besten Fall sogar als Bereicherung empfunden wird. Andere tun sich schwerer, meist sind das stark in der Tradition verwurzelte Menschen, für die starre und häufig unreflektiert befolgte Verhaltensmuster, soziale Regeln und Bindungen den Rahmen darstellen, ohne den sie aus dem Leben fallen würden.
Nachdem sie zufällig entdeckt wurde, begann Zohres Esmaeli als Model zu arbeiten. Ihre Laufbahn begann beiläufig, aber dass sie danach auch erfolgreich wurde, hat viel mit Disziplin und Zielstrebigkeit zu tun. Eine Aschenputtelkarriere mit zwei extremen Polen, aber die schlimmsten Wochen in ihrem Leben hat Zohre bis heute nicht richtig verarbeitet. Was sie als 14-Jährige auf der Flucht erlebte, lässt die erfolgreich integrierte Emigrantin nicht zur Ruhe kommen. Es ist wie der Blitz der Fotografen, die um das Model kreisen – fast täglich taucht eine Szene aus dieser Zeit vor ihrem inneren Auge auf. Nachts, gesteht Zohre, plagen sie gelegentlich Albträume, in denen vermeintlich vergessene Details wieder an die Oberfläche drängen und sich die Ängste des überforderten jungen Mädchens Bahn brechen. Das Unterbewusstsein ist eben stärker als die märchenhafte Geschichte, die der Frau materielle Sicherheit und gesellschaftliche Akzeptanz gebracht hat.